3 für 1: Kopper – Headshaker – PSSM
Unsere Geschichte startete über Facebook und meiner «pferdelabilen» Mutter. Blaue Augen, Zebrastreifen an den Beinen und eine Sonderfarbe der Extraklasse. Sie wünschte sich schon lange wieder ein ruhiges Quarter Horse, dazu noch blaue Augen waren ihr Mädchentraum. Meine Mutter kaufte Goldy über ein Bild in Facebook, wo er gerade einmal 1 Tag alt war. Als die Zeit für den Import herannahte, waren in der Schweiz die Kontingente bereits ausgeschöpft. Goldy stand also nach dem Absetzen noch für eine Weile alleine in einer Box.
Endlich bei uns angekommen, fingen die diffusen Symptome von Goldy an. Wir besuchten ihn mindestens monatlich und spielten auf dem Sandplatz. Dabei fiel mir auf, wie er immer wieder in der Bewegung mit dem Kopf gegen den Bauch schlug, bisher habe ich dies noch nie gesehen und meine Community ebenfalls nicht. Somit bekam er schon mit zwei Jahren die ersten osteopathischen Behandlungen. Der hübsche Kerl stand in einer kleinen Herde mit 24h Gras, sowie Heu, Apfelbäumen und wurde mit täglichem Futter unterstützt. Diese Fohlenweide war ein absoluter Glücksgriff! Als er zu uns kam war soweit alles in Ordnung und er stand mit Django zusammen bei uns am Haus in einem Offenstall. Die ersten Monate gingen wir mehrmals wöchentlich stundenlang spazieren im Gelände & Longieren auf dem Sand. Bevor er angeritten wurde, lernte er sehr viel am Boden, wobei er in kurzer Zeit mehr konnte als Welldone.
Er war schon immer von der Sorte «wilder Mustang», anstatt ruhiges Quarter Horse. Schon auf der Fohlenweide wurde ich vorgewarnt, dass ich da einen „Border Collie“ habe und ihn nicht unterschätzen sollte. Nun gut – es stimmte. Er war nie müde zu kriegen, andauernd unter Strom und schlug immer noch gegen den Bauch. Er äppelte manchmal schon fast wässrig. Unter dem Sattel rannte er mir davon, blieb plötzlich wie versteinert stehen und wir hatten den Stress unseres Lebens auf dem Platz. Darauf folgte nur Gelände und Bodenarbeit, aber es besserte sich nicht. Ihn zu reiten fühlte sich schrecklich an, somit folgte mehrmals eine Reitpause. Daraufhin folgten drei Sättel, bis ich einen passenden fand, trotz den besten Sattlern. Dazu war er schon fast unreitbar mit Trense, deshalb konnte er nur mit gebissloser Trense ohne Hebelwirkung geritten werden.
Goldy nagte dauernd an allem, war anhänglicher als jeder Hund und lag viel. Mir viel sein saurer Atem auf, viele Verspannungen und er reagierte überempfindlich auf jegliche Berührungen. Plötzlich sah ich ihn koppen. Eine Welt brach für mich ein und meine Recherchen starteten. Tierärzte, Osteopathen, Akupunktur- und Craniosacraltherapeuten besuchten uns regelmässig. Wir behandelten ihn ohne Gastroskopie mit Omeprazol sowie Sucralfat, da ich ihm keinen Transport in eine Klinik zumuten konnte. Das Kopfschlagen gegen den Bauch verschwand und er lief dank der Craniosacraltherapie viel besser. Ich quälte mich mit dem Gedanken, dass ich ihm viel Leid angetan haben muss. Monatelang las ich Studien, suchte meine Fehler und fand keine ausser einer unpassenden Fütterung. Mir wurde gesagt, dass ich der Auslöser sei oder die Situation akzeptieren soll. Aber mein Bauchgefühl sagte mir was anderes und ich konnte es nicht einfach bei der Situation belassen. Lieber gebe ich ihn auf eine Weide, anstatt die Augen zu schliessen und seine Symptome zu ignorieren. Ich machte Blut- sowie eine Heuanalyse. Die Heuanalyse war soweit gut, ausser der hohe Zuckergehalt und die Blutwerte zeigten einen Selenmangel sowie erhöhte LDH-, Creatin-Kinase- und Kaliumwerte. Nach der zweiten Omeprazolbehandlung fand ich endlich einen Tierarzt welcher eine Gastroskopie am Stall machte und der Magen zeigte sich einwandfrei. Trotz unserer Fortschritte empfand ich ihn immer noch nicht schmerzfrei. Es wurde jegliches Futter eingestellt, ausser Heu und Mineralien. Wir bauten den Stall um, damit er seinen eigenen Offenstall hatte um ihm genügend Ruhe zu gewährleisten und wir fällten den Apfelbaum, weil die Äpfel immer in den Offenstall fielen. Sobald er wieder vermehrt koppte, zeigte sich dies auch in der Konsistenz seiner Äppel. Mir wurde klar, dass sein Darm zu leiden scheint, sicherlich auch wegen der Omeprazolkur.
Mir konnte niemand weiterhelfen, ich wurde immer verzweifelter und mit der Zeit konnte ich mich nur noch an wenige Personen wenden, da viele das Thema leid waren. Er bekam Knabberäste, Heu ad libitum und Globulis. Die Akupunktur konnte sein Trauma vom Absetzen minimieren, aber weg ist es noch nicht. Durch das Koppen fand er mehr innere Ruhe, somit habe ich mich nach einem Jahr damit abgefunden.
Futtertechnisch war alles für die Tonne und ich verfluche mittlerweile alle Futtermittelhersteller mit ihren falschen Versprechungen. Es stand keine Melasse in den Heucobs, aber solange es als Bindemittel gebraucht wurde, muss man es nicht deklarieren. Genauso mit all den anderen Zusätzen, welche Wunder versprechen aber in etlichen Studien wiederlegt wurden. Wir kauften uns einen Haygain, welcher mindestens die Heuqualität um ein Vielfaches verbesserte. Das einzige wirkungsvolle Mittel war bisher Weihrauch, CBD-Öl sowie Kamillen-/Fencheltee. Niemand schrieb über seine koppenden Pferde oder sonstigen Probleme, damit fand ich mich alleine in einer glitzernden, heilen Social-Media Welt. Mit der Zeit schrieben mir immer mehr meiner Follower und teilten mit mir ihre Erfahrungswerte.
Schon lange hatte ich den Muskelstoffwechsel Gendefekt Namens PSSM im Kopf. Doch Goldy zeigte kaum welche dieser deutlichen Symptome. Dank einer meiner Followerinnen entschied ich mich trotzdem den Test zu machen und bekam eine Bestätigung dieser Befürchtung. Goldy ist heterozygot PSSM1 positiv.
Mir fiel ein riesen grosser Stein vom Herzen. Ich bin so unglaublich stolz auf mich, dass ich trotz all den negativen Meinungen zu meinem Bauchgefühl stand. Zum Glück ist mein Gold(y)junge nur heterozygoter Träger. Dies soll heissen, dass er «nur» eine anstatt zwei Kopien des Gendefekts in sich trägt und somit weniger starke Symptome zeigen kann.
Goldy zeigte nicht viele der genannten typischen Symptome. Er war nie träge, bewegungsunslustig oder zeigte Muskelabbau, deshalb war die Diagnose auch so schwer. Unser stärkster Hinweis waren seine Probleme mit dem Galopp und die unerklärlichen Verspannungen.
Was ist PSSM Typ 1?
Wir alle füttern unseren Pferden täglich Zucker. Habt ihr schon einmal den Prozentsatz des Zuckers auf eurem Futter überprüft? Viele werden dies jetzt verneinen. Zu viel Zucker ist im allgemeinen sehr schlecht für das Pferd, deshalb fütterte ich schon Welldone kein Müsli mehr. Doch hier kommt der Unterschied zum Tragen zwischen «gesunden» und erkrankten Pferden des Gendefekts.
Nicht nur Fruchtzucker (Äpfel, Karotten etc.) und Melasse (Zuckersirup, oft auf Zuckerrüben) gehören zum Zucker, sondern auch Kohlenhydrate. Kohlenhydrate (Hafer, Mais, Gerste etc.) werden während dem Kauen durch den Speichel von Stärke in Zucker umgewandelt. Dieser Zucker wird in der Muskulatur bei PSSM1 «falsch» gespeichert und kann somit unter Belastung nicht mehr abgebaut werden. Dadurch wird der Vorgang im Muskel gestört und kann zu einem Absterben der Muskelzellen führen. Dadurch entsteht ein starker Muskelschmerz sowie Muskelfarbstoff (Myoglobin), welches sich im dunklen Urin zeigt.
Diese Pferde schwitzen oft schon nach 10-20min Training, wirken schnell ermüdet und zeigen sich träge bis steif.
Viele dieser Pferde gelten als schwierig und die Erkrankung wird oftmals nicht bemerkt. Bei PSSM reicht schon ein Elterntier mit einem von zwei defekten Allelen um dies mit 50% weiterzuvererben. Es wird vermutet, dass fast jeder zweiter Kaltblüter und gut 14% aller Quarter Horses unter PSSM1 leiden.
Typische Symptome PSSM Typ 1
- Verstärktes Schwitzen
- Vermehrte Muskelverspannungen (Rücken- & Kruppe)
- Muskelzittern (oft Hinterhand)
- Koliksymptome
- Bewegungsunlust / -verweigerung
- Dunkler Harn
- Stolpern, kurztrittiger Gang
- psychische Auffälligkeiten
- enorme Berührungsempfindlichkeit (Schmerzen)
- reheähnliche Symptome
- Widersetzlichkeit beim Rückwärtsrichten
- Abmagerung
- Taktunreinheiten bis unerklärliches Lahmen
- Nierenüberlastung (Schädigung)
- im Blutbild erhöhte CK-, LDH- & schlechte Lebewerte
- Atemwegsinfekte
- Magen-Darm Probleme
Goldys Symptome PSSM1
- extreme Berührungsempfindlichkeit
- putzen, streicheln
- grosse Schwierigkeiten im Galopp
- tritt nicht gut unter, steif
- nach 15min Platzarbeit stehen bleiben
- vermehrtes Schwitzen
- stolpern, kurztrittig
- unerklärliche Muskelverspannungen
- Rücken & Hinterhand
- Unverträglichkeit bei Getreide & Fruktose
- Blutbild zeigte Selenmangel sowie LDH, Creatin-Kinase & Kalium erhöht
- Hinterhand reiben oder gegen Wand drücken
- Angelegte Ohren beim angaloppieren
- Vorhandlastig
- Mühe Hinterhufe zu geben beim Schmied
- Mühe beim Anbinden
- häufiges Liegen mit Blick zum Bauch
- Head Shaking (kreisrundes Schlagen)
- nie unter dem Sattel
- Entlastungshaltung immer hinten links
- Mühe beim Biegen
- Magen-Darm Probleme
PSSM Test
Im Labor «Center of animal genetics» werden Gentest per Haar- sowie Blutanalyse angeboten. Ich habe 30 Mähnenhaare von Goldy nach Deutschland geschickt für die Analyse «PSSM Panel: PSSM1 und PSSM2 – 6 Variante», damit gleich neben PSSM Typ 1 auch noch alle sechs Varianten von PSSM Typ 2 getestet werden.
Behandlung PSSM1
- getreidefreie Fütterung
- kein Zusatzfutter mit (Frucht-)Zucker
- Zucker der gesamten Futterration sollte 10-12% nicht überschreiten
- kein grosse Mengen an chromhaltiges Futter
- oft in Kräutern oder auch Algen
- zuckerarmes Heu
- Heu- sowie Blutanalyse
- individuelles Mineralfutter angepasst auf Analysen
- zufüttern von Vitamin E
- Auslaufhaltung mit möglichst viel Bewegungsfreiheit
- keine Stehtage
- Entgiftung (mit fachkundiger Begleitung)
- möglichst Stress vermeiden
- lange Aufwärmphasen
- bei tiefen Temperaturen eindecken
- muss nicht sein, aber könnte zur Linderung verhelfen
- Muskeln verspannen sich weniger durch die Kälte
Wie geht es nun weiter?
Für uns ändert sich nicht viel, da ich der grösste Teil schon vor der Diagnose umgesetzt habe. Das Mineralfutter wird auf Heu- sowie Blutanalyse angepasst. Ich achte mich vermehrt auf lockeres Training, damit er keinen Schub bekommt. Momentan bin ich noch auf der Suche nach dem passenden zuckerarmen Heu. Ich decke mein Pferde überhaupt nicht gerne ein, somit weiss ich noch nicht ob ich dies umsetzen werde bei Goldy. Der wichtigste Punkt ist ein gutes Mineralfutter zu finden. Als Übergang empfehlen alle das Orthocomplex von Dr. Maroske, welches ich über einen Anbieter von Deutschland in die Schweiz verschicken lasse (Dr. Maroske liefert nicht in die Schweiz).
Bei uns ist natürlich der Darm eine grosse Problemstelle durch die Omeprazolkur, da leider viele Pferde danach an einem entzündeten Darm leiden. Deshalb lasse ich eine mikrobiologische Kotanalyse machen, welche uns hoffentlich weiterhelfen wird. Obwohl ich viele Studien gelesen habe, welche diese Analyse kontrovers diskutieren, habe ich mich von vielen Leidensgenossen über die Wirksamkeit überzeugen lassen.
Niemand von euch muss sich von der Diagnose fürchten. Schlussendlich ändert sich kaum etwas für die Genträger sowie den Pferdehalter. Mit der passenden Fütterung sowie ein passendes Training, kann schon sehr viel erreicht werden. Viele dieser Pferde können wieder zurück in den Sport, sobald sie mit den Nährstoffen passend eingestellt sind. Umso später der Befund bestätigt wird, umso schlechter ist er zu handhaben.
Fokussiert euch nicht auf die typischen Symptome, weil viele von diesen nicht bei uns zugetroffen haben. Bewegungsunlust bist auf das Stehenbleiben, hatten wir nie. Wir hatten nie ein Muskelzittern oder Taktunreiten. Die oben aufgeführten Symptome sind schon spezifischer als die sonst erwähnten typischen Symptome.
Dazu habe ich noch ein Gentest ausstehend auf HYPP. Dieser Gendefekt ist ebenfalls eine Stoffwechselerkrankung und zeigt sich durch gestörtes Öffnen und Schliessen des Natriumkanals, so dass unkontrolliert Natriumteilchen passieren. Anfällige Symptome sind Muskelschwäche, Muskelzittern, Krämpfe bis zum Kollaps. Dieser Gendefekt kommt bei den Westernrassen vor.
Bello und Django werden nun auch zuckerarm gefüttert und bekommen ebenfalls vorab das Orthocomplex, da es ein wirklich vielschichtiges Mineralfutter ist.
Somit empfehle ich euch bei unerklärlichen wiederkehrenden Verspannungen oder Verhaltensauffälligkeiten euer Pferd testen zu lassen. Es kostet zwar 314 Euro, aber ich hätte mir viel mehr Geld sparen können bei frühzeitiger Analyse.
Bestenfalls schaut ihr euch mal die PSSM Facebookgruppen an, welche sehr stark weiterhelfen können bei anfälligen Fragen.
Hiermit möchte ich nochmals deutlich machen, dass ich selbst sehr neu auf diesem Gebiet bin und mich noch einlese. Auch ich werde mit einer Futterberaterin, welche auf PSSM spezialisiert ist, zusammenarbeiten.
Ebenfalls ist es wichtig, dass ich hier NUR über PSSM Typ 1 geschrieben habe! Dieser Gendefekt zeigt sich auf andere Art und Weise als die anderen PSSM Varianten. Falls möglich, werde ich noch einen Gastbeitrag veröffentlichen mit einer PSSM Typ 2 erfahrenen Person.
Link für die PSSM Analyse
https://www.centerforanimalgenetics.com/de/product/pssm-panel-pssm1-und-pssm2/
Link für die mikrobiologische Kotprobenanalyse
Falls ihr Fragen habt, schreibt mir in die Kommentare
Liebe Grüsse aus der Schweiz
eure Laura
(keine bezahlte Werbung)
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