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Das verrückte Jungpferd

Diesen Monat habe ich genau 9 Tage KEINE Schule. Somit musste der Betrieb und meine Tiere grösstenteils ohne meine Anwesenheit auskommen. Zum Glück habe ich mich vorbereitet und meine Leute konnten meine Abwesenheit abfedern. Diese Woche darf ich zum Glück wieder auf dem Hof arbeiten und kann endlich wieder Blogbeiträge schreiben. Im November geht echt die Post ab bei uns. Nun möchte ich heute kurz über Ari berichten.

Mit der jungen Maus funktioniert es wirklich sehr gut. Mein Alltag hat es noch nicht zugelassen, dass ich sie endlich mehr auswärts mitnehme. Deshalb arbeiten wir konstant an ihren alltäglichen Problemchen. Aris Nesselsucht ist immer noch kaum vorhanden, aber es juckt sie anscheinend noch – meine Tierheilpraktikerinnen-Skills werden an meinen privaten Pferden definitiv gefordert. Doch meine grösste Sorge war immer ihre Patellafixation. Ari soll mein Sportpferd werden und nicht ein weiteres Mitglied meiner pferdigen „Patienten-Crew“.

Ari ist ein Arbeitspferd. Sie mag Herausforderungen sowie die Arbeit. Sie bewegt sich gerne und setzt Aufgaben sehr schnell um (soweit es der Körper zulässt). In den letzten acht Monaten habe ich viel therapeutisches Herzblut in sie gesteckt. Ich musste dauernd abwägen, ob ich sie fordern oder wieder runterschrauben soll. Ihre Kniescheibe braucht auf jeden Fall konstantes Training. Das Gelände (vor allem bergauf) sowie die Stärkung der Hinterhand war reittechnisch die Basis. Trotzdem blockierte die Kniescheibe in regelmässigen Intervallen (tage-/wochenweisen). Mit der Blutegeltherapie, dem Tapen sowie Craniosakraltherapie zeigte sich der endgültige Erfolg. Mittlerweile weiss ich nicht mehr, wann Ari das letzte Mal ihr blockiertes Hinterbein wie eine Ballerina nach hinten hinausstreckte. Doch ein junges Pferd fordert den Menschen in den ersten paar Jahren kontinuierlich heraus. So auch Madame Ari. Seit dem Kälteeinbruch wurde sie plötzlich wieder überreizt.  

Die ersten Wochen nahm ich das noch nicht ernst, denn kein Wesen auf der Welt ist immer ausgeglichen. Auch ich habe Phasen in denen ich wie ein Wirbelwind durch die Gegend fege. In solchen Phasen versuche ich Ruhe in den Alltag vom Pferd zu bringen. Die Grenze zwischen Fordern und Überfordern ist in solchen Phasen besonders prekär. Meine initiierende Ruhe prallte am Stütchen ab wie ein Federball. Von aussen wirkt Ari nicht ausgelastet, aber ich empfand es durchgehend als innere Unruhe. Diese zwei Dinge sind schwer zu unterscheiden. Die innere Unruhe kann mit Auslastung nicht langfristig minimiert werden. Es besteht viel eher die Gefahr, dass durch die Herausforderungen noch mehr Benzin ins lodernde Lebensfeuer gekippt wird. So war es auch bei uns. Sie gefiel mir immer weniger. Während dem Ausritt konnte sie kaum Schritt laufen. Sie tanzte wie ein Stepptänzer durchs Gelände. Ich hasse nichts mehr als dauerhaft geladene Pferde. Jedes raschelnde Blatt könnte in dessen Augen die Apokalypse auslösen. Ari ist zwar ein Jungpferd und noch ein wenig grün hinter den Löffeln, aber ich kenne sie mittlerweile. Das ist nicht Aris Art. Die Ausrede „es ist halt ein junges Sportpferd“ streiche ich doppelt durch – mit rotem Filzstift! Der eine vergangene Ritt in der Halle war für mich ausschlaggebend. 

Viele positive Entwicklungen blieben trotz loderndem Feuer bestehen. Beispielsweise klemmt sie nicht mehr am Bein. Sie kann sich im Körper biegen und im Schritt mehr schreiten. Ebenfalls entwickelt sich ihr Galopp positiv (aber immer noch ein zähes Problemchen). Jedoch gab es auch diese interpretationsfähigen Aspekte. Ari klemmte nicht, aber düste unter mir davon. Ein Jungpferd darf und soll nicht lernen, dass es mit Tempo Probleme lösen kann. Sie soll Tragkraft erreichen. Arielle wurde wieder vermehrt unruhig im Maul und in der Anlehnung. Ich reite Ari noch nicht in der gelehrten Anlehnung. Sie soll sich erst locker im Genick tragen können, ohne fast den Handstand zu machen. Jedoch hatten wir eine angenehme feine Anlehnung erreicht und diese ist wie Magie verpufft. Ich ging somit auf Ursachensuche. Ein wichtiges Detail war, dass Ari allgemein unruhig war. Irgendwas störte sie derartig, dass dies sich in diesem Verhalten zeigte. 

Ich machte das jährliche Blutbild. Es zeigte keinerlei Auffälligkeiten. Sie kam täglich in der Gruppe raus und wir probierten trainingstechnisch alles aus – keine Veränderung. Es könnte der Zahnwechsel sein. Es könnte ein wachstumsbedingtes Zwicken sein. Jedoch sprachen ihre Symptome und deren Ausprägungen nicht ausschliesslich dafür. Ari bekam ein paar Tage Reitpause, bis ich das Problem entlarvte. Schlussendlich fand ich es heraus als ich ihr kurz nach der Schule (mit brennenden Hirnzellen) Hallo sagen wollte. Sie war wieder extrem kribbelig und wollte mich am liebsten auffressen. Aufdringlichkeit in Person – oder eher in Pferd. Als ich sie am Hals kraulte und das Gefühl des flauschigen Winterfells zwischen den Finger genoss, streckte sie genüsslich mit zuckender Oberlippe ihren Kopf gestreckt wie eine Giraffe in die Höhe. Ich bemerkte, dass es Ari anscheinend stark juckte. Merkwürdig – weil weder Nesselsucht noch Insekten sind/waren bei diesem Wetter anwesend. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Die gleichen Symptome zeigte sie damals bei den Quaddeln durch die Nesselsucht. Wie betriebsblind kann Frau sein? Ich holte die gleichen Globuli wie damals aus meinem Büro und gab diese ihr. Einen Tag später breitete sich tatsächlich Ruhe in ihr aus. 

Nun sind knapp drei Tage vergangen. Für mich ist dies definitiv keinen Startschuss wieder mit einem Kopfsprung ins intensive Training zu starten. Deshalb montierte ich heute meine Laufschuhe statt Reitstiefel. Manchmal ist es effizienter genug früh ein paar „Rückschritte“ zu machen. Ich war knapp über einer Stunde mit ihr im Gelände. Sie zeigte sich ruhiger, aber durch die letzten Wochen als hyperaktives Pferd muss sie wieder lernen mit Aussenreizen umgehen zu können – auch später als Turnierpferd ein fundamentaler Lernprozess. Egal was gerade für ein Trubel um uns stattfindet – die Bindung und Konzentration bleibt bei sowie mit mir. Es rauschten Auto an uns vorbei, es schrien Kinder, es kreuzten uns (anscheinend gefährliche) Menschengruppen und es zischten zwei Züge vor unseren Nasen vorbei. Sie blieb immer händelbar, zeigte nur kurz ihre Stepptanzkünste – aber das darf und soll jedes meiner Pferde mal machen. Es gab nur etwas, dass sie anscheinend schwer verstörte. Sie flitze im Kreis um mich herum, immerhin rammt sie mich nicht mehr mit ihren Schultern aus dem Weg. Jedoch ist das trotzdem eine Unart. Es waren Wahlplakate, welche wegen den politischen Wahlen überall ausgesteckt sind. Anscheinend verstörte sie das einladende „Wählt-mich-Lachen“ zutiefst. Das erste war an einer Hauptstrasse, aber das zweite auf einer innerorts Strasse. Dieses Plakat (mit derselben Frau wie an der Hauptstrasse) nahm ich natürlich als Übung. Solange Ari sich vor oder hinter mir daran vorbeidrückte, kehrten wir wieder um und kreuzten das Plakat nochmals. Solange bis sie nicht mehr versuchte ihre Position zu verlassen. Würde sie dies nicht lernen, dann könnte sie plötzlich im Gelände vom Weg auf ein Strasse drücken oder springen. Dasselbe gilt im Sport, unwichtig ob Dressur oder Springreiten. Falls eine „Gefahr“ im Parcours oder an der Bande zu sehen, hören oder riechen ist – dann soll das Pferd nicht die Spur verlassen. Versteht ihr, was ich meine? Deshalb empfinde ich Bodenarbeit derartig wichtig für jedes Pferd. Ob Freizeit oder Sport. Es steht und fällt mit dem Vertrauen. 

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