Heute früh habe ich mich entschieden nach wochenlanger Pause, wieder mal Goldy zu reiten. Das Wetter war fabelhaft. Ich deckte Goldy ab und stürzte mich in den noch aussichtslosen Kampf gegen den Winterplüsch. Momentan trägt Goldy noch über Nacht die Walkerdecke von Kentucky und eine regendichte darüber – zusammen knapp 250g. Bisher hilft es ihm sehr mit dem PSSM. Wie ihr wisst, habe ich momentan ein traumhaftes Zusammensein mit dem Schlingel. Mittlerweile habe ich 4 Jahre dafür gekämpft, dass wir Fortschritte machen. Mir ist es so schnurzegal ob jemand an die Homöopathie glaubt oder nicht, aber bei Goldy wars eine bahnbrechende Wirkung. Goldy geniesst das Striegeln momentan in vollen Zügen, weil es ihn höllisch juckt. Dabei lässt er immer völlig apathisch den Kopf hängen, während seine Augenlieder immer schwerer und schwerer werden. Obwohl ich wochenlang nicht mehr auf seinem Rücken sass, habe ich ihn nicht gesattelt. Während ich meine Beine über seinen nackten Rücken schwang und überkam mich ein Gefühl der Geborgenheit. Obwohl er ja wirklich grenzwertig lebhaft ist und sich dabei auch mal im Bocken sowie senkrechtem Steigen verliert – er passt immer auf mich auf. Wir ritten durchs Tor am langen Zügel, wobei meine Gedanken im Einklang der Hufe auf dem Asphalt in unsere Vergangenheit abschweiften.
Seit Fohlen an ist er in unserem Besitz und arbeite mit ihm, seit er Jährig ist. Jede winzige Kleinigkeit haben wir gemeinsam erarbeitet. Schon damals wurde sein Wesen von Kennern als sehr schwierig eingestuft. Ich habe es ignoriert, weil ich ja immerhin lebhafte Springpferde Zuhause habe. Doch Goldy ist mit keinem Pferd zu vergleichen – nicht mal mit dem damals neurotischen Durchgänger namens Welldone. Goldy hatte immer Probleme. Anfangs war es «nur» der Magen-Darm-Trakt. Chronischer Durchfall und Bauchweh (ohne Kolik). Zwischen 3-4 Jährig «musste» ich ihn einreiten, weil er unterfordert schien. Heute weiss ich, dass er nicht unterfordert war – sondern Muskelschmerzen hatte. Mittlerweile hat kaum noch Bauchweh und äppelt wie ein Goldjunge. Mir wurde wieder bewusst, dass wir echt viel erreicht haben. Viele Ticks von früher hat er nicht mehr. Er schlug zB seitlich mit dem Kopf gegen die Flanken. Er strich seine Nase am Boden entlang. Er lag viel. Scharrte während dem Fressen. Er koppt weniger. Diese Fortschritte waren so langsam und zäh, dass auch meine Geduld sowie Kraft zu Ende ging. Wie ein Kampf gegen eine unsichtbare Kraft. Die vergangenen Wochen ohne Reiten haben uns gutgetan. Wir haben versucht die schwierige Zeit hinter uns zulassen. Ich arbeitete mit ihm als wäre er wieder 3 Jährig.
An der Kreuzung im Dorf kam ich wieder zurück aus meinen tiefen Gedanken. Ich wendete ihn nur mit einer Gewichtsverlagerung und der Berührung des äusseren Zügels. Durch die lange Pause fiel mir wieder auf wie fein er auf die Hilfen hört – fast zu fein. Früher durfte ich ihn mit meinen Beinen kaum berühren, auch dies ist Vergangenheit. Jegliche Berührungen an seinem Körper waren für ihn unangenehm. Deshalb streichelte ich ihn kaum noch und konnte fürs Putzen nur die «Schmusebürsten» nutzen. Zur aktuellen Zeit reite ich Goldy nur am langen Zügel. Ich greife nie ein, ausser er kommt mit der Nase zu tief. Bildlich gesprochen bin ich also nicht Pilot, sondern Passagier. Das funktioniert ganz gut. Er lebt in seiner körperlichen Komfortzone.
Bis vor ein paar Wochen habe ich kaum noch am Boden mit Goldy gearbeitet. Jeder Spaziergang war eine Tortur. Ich musste ihn am Laufband massregeln. Die erste halbe Stunde tänzelte er nur neben mir. Goldy durfte dies, solange er seine Position einhielt. Mir wurde klar, dass ein Kind mit ADHS auch nicht einfach auf Befehl ausgeglichen sein kann. Das Gleiche mit Goldy. Wir erarbeiteten uns ein Weg, welcher für uns beide aushaltbar ist. Doch seit meiner homöopathischen Therapie mit Goldy ist er wie ausgewechselt. Klar dreht er noch auf, aber verliert sich nicht mehr darin und kommt schnell wieder runter. Früher konnte ich mit Goldy an meiner Seite keine Ablenkung erlauben. Er brauchte immer meine volle Konzentration, weil er jede mögliche Sekunde für allerlei Unsinn nutzte. Goldy trug mich wie ein marschierender Soldat durchs Gelände. Sein Kopf verwarf er noch einige Male. Doch fühlten sich seine Bewegungen sanfter an. Wir ritten sehr steil bergauf, weil Hänge sehr gut sind um den Magen-Darm-Trakt zu lösen. Ein kleiner Jog folgte. Seine Schritte blieben in einem federnden Rhythmus. Wir beliessen es bei ein paar Metern. Dieses Gefühl ist unbeschreiblich – der Suchtfaktor riesengross. Spontan kürzte ich die Strecke, weil ich ihn muskulär nicht überfordern wollte. Goldy sollte möglichst nicht in Ekstase kommen, aber unter vermehrter Belastung wird er zum Araber. Diese Gradwanderung gelang mir. Gegen Ende des Ausritts wurde er hektischer. Dennoch kamen wir noch in einem akzeptablen Zustand Zuhause an. Am liebsten wäre ich ihm aus lauter Glück um den Hals gefallen. Solche Aussetzer meinerseits bringen ihn immer noch aus der seelischen Balance. Pferde spüren zum Glück die menschlichen Emotionen und ich beliess es bei einer feinen sanften Berührung an seiner weichen rosaroten Nase. Er strahlte. Ich strahlte. Wir strahlten.
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